Die Reise beginnt |
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Die Sonne strahlte fröhlich vom Himmel herunter und ließ die bunten
Blätter des Herbstwaldes aufleuchten. Juchzend sprang Dorian in die
Blätterhaufen, rollte sich wie ein kleiner Welpe in den Blättern herum und
warf diese in die Luft. Seine blauen Augen strahlten mit der Sonne um die
Wette. Prustend schüttelte er seinen Kopf und aus dem braunen
Bürstenhaarschnitt purzelten sofort die Blätter herab. Als er aus einem
besonders hohen Blätterhaufen wieder auftauchte, tänzelte ein Schmetterling
mit glänzenden, goldenen Flügeln vor seiner Nase. Atemlos starrte er dieses
schöne Wesen an. Genauso neugierig schien es auch ihn zu beobachten. Dann
flog es weiter. Dorian war so fasziniert von dem goldenen Funkeln der
Flügel, dass er dem Schmetterling folgen musste. Vergessen waren die
Warnungen seiner Mutter, nicht die Wege im Wald zu verlassen. Mit jedem
Schritt tiefer in den Wald hinein, wurden die Bäume um ihn herum immer
größer und mächtiger. Die Sonne fand kaum noch einen Weg durch die
gewaltigen Baumkronen und die Luft war kühl und feucht. Dorian
erinnerte sich wieder an die Geschichten seiner Großmutter, die von einem
Ungeheuer im Herzen des Waldes erzählt hatten. Als er nicht mehr wusste, wo
er noch war, fing er an, sich zu fürchten. Schließlich stand er bibbernd vor
einer großen Höhle. Erstaunt sah er, wie der goldene Schmetterling dort drin
verschwand. Erneut flammte seine Neugierde auf und er folgte dem
Schmetterling in die Höhle. Zunächst sah er nichts, so stockfinster war es.
Dann nahm er in der Ferne ein schwaches Glimmen wahr. Es wurde größer und
strahlender, je mehr er sich näherte. Schließlich stand er in der Höhle vor
... ja, vor was? Dorian sah nur einen mächtigen Berg von Schuppen, Krallen
und Flügeln, die ineinander verschlungen waren. In diesem ganzen Gewirr
schlug ein Auge auf, das in erstaunt anstarrte. Dann geriet der ganze
Leibesberg in Bewegung und entrollte sich. Auf vier großen Löwenpranken
stand das Wesen, sein Körper war geschuppt und hatte einen langen Schwanz.
Zwei große Flügel prangten auf seinem Rücken und aus Nasenlöchern groß wie
Suppentellern kräuselte sich Rauch. „Wer wagt es, meine Ruhe
zu stören? Sprich, du Winzling!" Doch Dorian war vor Schreck erstarrt, so
dass kein Wort über seine Lippen kam. Da beugte sich das Wesen herab und
beäugte ihn interessiert mit seinen riesigen Augen. „Hm, hm, gefährlich
scheinst du mir ja nicht zu sein!" Dorian piepste ganz kleinlaut: „Wer
bist‘n du?" „Du weißt nicht, wer ich bin?", donnerte das Wesen ganz
entsetzt und entschuldigte sich sofort, als es sah, wie Dorian ängstlich
zusammenzuckte. „Lange ist es her, da ich mit einem menschlichen Wesen
gesprochen habe und vergaß, wie mächtig meine Stimme für euch ist. Ich bin
ein Drache. Du kannst mich Drag-en nennen, da mein wirklicher Name für dich
nicht auszusprechen ist. Und wer bist du, kleines Menschlein?" „Dorian",
piepste dieser immer noch ziemlich ängstlich. „Es erstaunt mich, dass du
keine Drachen kennst. Welche Helden und Dämonen lehren sie euch denn heute?"
„Also, mein Held ist Batman!", sagte da Dorian ganz stolz, „ Und Mama sagt,
unsere Nachbarin wäre eine alte Hexe, die wohl direkt von den Dämonen
abstammen würde." Verwundert kratzte sich der Drache mit einer
Kralle hinter dem Ohr. „Mir scheint, dass ihr die Fabelwesen eurer Welt
ganz vergessen habt. Welch ein trauriges Schicksal für unsere Art." Ganz
betrübt blies er eine kleine Flamme aus seinen Nüstern und ringelte sich
wieder zusammen. „Es gibt noch mehr von dir?", platze es Dorian heraus.
„Viel mehr noch, viele wundersame Wesen, die ihr mit euren Geschichten
erschaffen habt. Wenn du willst, dann zeige ich sie dir." Da nickte
Dorian heftig. „Steig auf meinen Rücken und begleite mich auf eine Reise
durch die Welt der Fabeltiere. Sei niemals ängstlich bei dem, was du siehst.
Denn mein Zauber wird dich beschützen." So kletterte Dorian auf den
schuppigen Rücken des Drachens, der mit ihm langsam aus der Höhle kroch.
Dann hob er sich in den Himmel und gemeinsam begaben sie sich auf eine
phantastische Reise.
© Claudia Schaffarik
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